Sonntag, 24. Juli 2022

Die Großmutter von Bertolt Brecht



Der Autor Bertolt Brecht schrieb:

Brtolt Brcht (Name)

Als meine Großmutter 72 Jahre alt war, starb mein Großvater.


Mein Großvater hatte eine Druckerei.

Er verdiente nie viel Geld.

Mein Großmutter kümmerte sich allein um das Haus, 

um die Werkstatt, 

und um fünf Kinder.

Sie war sehr sparsam.

Nie gab sie Geld für sich selbst aus.

Sie tat alles für die Familie.


Als ihre Kinder groß waren, zogen alle fort.

Nur der jüngste Sohn blieb in der Stadt.

Auch er verdiente wenig Geld,

und seine Familie war zu groß.

Er lebte mit drei Kindern in zwei Zimmern. 


Nach dem Tod des Vaters überlegten die Geschwister:

"Nun ist unsere Mutter allein.

Was sollen wir machen?"

der Tod des Vaters = der Tod von dem Vater

Der jüngste Sohn sagte:

"Meine Familie ist groß und meine Wohnung ist klein. 

Mutter hat ein ganzes Haus.

Wir können zu Mutter ziehen.

Dann ist sie nicht mehr allein."


Aber die Mutter ging auf diese Idee nicht ein.

Sie blieb allein in ihrem Haus.

Sie lud den Sohn und seine Familie nur am Sonntag zum Essen ein.


Nach einiger Zeit schrieb der jüngere Bruder einen Brief an den großen Bruder:

"Die Leute sprechen über unsere Mutter!

Stell dir vor: Sie geht ins Kino!"


Kinos hatten damals keinen guten Ruf.

Sie waren im Hinterzimmer von Kneipen

Dort war es oft schmutzig, 

und im Dunkeln saßen Liebespaare und schmusten.

Und - das Kino kostete Geld.

Das war Verschwendung!

Es war nicht respektabel.


Nach einiger Zeit schrieb der jüngste Bruder wieder einen Brief:

"Unsere Mutter geht jeden zweiten Tag im Gasthof essen!

Ich lebe so arm, und sie wirft Geld hinaus!"


Einige Zeit später hatte Bertolt Brechts Vater in der Stadt zu tun.

Er besuchte die Mutter.

Sie wollte gerade ausgehen.

Aber sie nahm den Hut wieder ab und gab ihm ein Glas Wein und Brot.


Das Haus war sauber.

Und die Mutter war sehr ausgeglichen.

Nicht traurig, aber auch nicht aufgekratzt.

Er sagte: 

"Lass uns Vaters Grab besuchen."

Sie antwortete:

"Du kannst alleine gehen.

Ich habe noch etwas zu tun."


Wo ging die Mutter hin?

Das erfuhren die Geschwister auch aus einem Brief.

Der jüngste Bruder schrieb:

"Unsere Mutter besucht jetzt immer den Schuster XY.

Dort treffen sich Leute und reden."


Dieser Schuster hatte Reisen gemacht und etwas von der Welt gesehen.

Aber er war arm. 

Seine Straße hatte einen schlechten Ruf,

und seine Freunde waren Dienstmädchen und Arbeitslose.

Außerdem trank er zu viel.


Der jüngste Bruder schrieb:

"Ich habe ihr gesagt: `Dieser Mann ist kein Umgang für Dich´.

Aber sie hat nur geantwortet `Er hat etwas gesehen´- 

und damit war das Gespräch zu Ende!"


Bertolt Brechts Vater antwortete:

"Es geht ihr gut.

Ich glaube, es ist alles in Ordnung.

Lass Sie machen, was sie will."


Aber was wollte sie?

Der nächste Brief vom jüngeren Bruder kam bald:

"Unsere Mutter hat einen Wagen gemietet und ist zu einem Pferderennen gefahren!

Ich mache mir Sorgen.

Wir müssen einen Arzt hinzuziehen!"


Auch Brechts Vater schüttelte den Kopf über die Mutter.

Aber einen Arzt holen wollte er nicht.


Zu dem Pferderennen war die Mutter nicht alleine gefahren.

Sie hatte ein Dienstmädchen aus dem Gasthof mitgenommen.

Das Dienstmädchen ging mit der Mutter auch zu dem Schuster.

Die beiden verbrachten viel Zeit zusammen.


Der jüngste Bruder schrieb:

"Mutter hat dem Dienstmädchen einen Hut mit Rosen gekauft.

Und meine Tochter hat kein Kommunionkleid!"

Seine Briefe wurden immer aufgeregter.

Er schrieb nur noch davon, wie unwürdig sich die Mutter aufführte.


Das ging zwei Jahre lang so.

Dann starb die Mutter.

Danach erfuhren die Geschwister:

Sie hatte eine Hypothek auf das Haus aufgenommen.

Es war nichts mehr übrig.


Was hatte die Mutter mit dem vielen Geld gemacht?

Das erfuhren die Kinder nie.

Vielleicht hatte sie es dem Schuster geschenkt.

Denn nach ihrem Tod zog er in eine andere Stadt und eröffnete dort ein Geschäft.


Brecht schreibt:

Meine Großmutter hat eigentlich zwei Leben gehabt.

Zweiundsiebzig Jahre lang lebte sie in Knechtschaft.

Zwei Jahre lang lebte sie in Freiheit.

Und sie hat das Brot des Lebens aufgegessen bis zum letzten Stückchen.


Wortliste
die Drckerei, -en = Ort. Dort bringt man Texte auf Papier und macht daraus Bücher, Zeitungen oder Werbung.
sich kümmern um = die Arbeit machen, die nötig ist / für jemand sorgen.
die Werkstatt,  ̈- en = Ort, wo man etwas herstellt/ produziert.
sparsam = so, dass man nicht viel Geld ausgibt.
fort ziehen, zog, gezogen = einen Ort verlassen und an einem anderen Ort wohnen.
überlegen = nachdenken
ein gnzes Haus = ein Haus mit allen Zimmern.
zu jemandem ziehen, zog, gezogen= die eigene Wohnung verlassen und in der Wohnung von einer anderen Person wohnen.
auf twas eingehen = eine Idee annehmen / tun, was jemand vorgeschlagen hat.
stll Dir vor! = denke dir! 
keinen guten Ruf haben = die Leute sprechen schlecht darüber. 
das Hnterzimmer, - = ein Zimmer hinten in einem Restaurant oder in einer Wohnung. Dieses Zimmer ist oft nicht so schön. Man zeigt es Fremden nicht.
die Kneipe, -n = Ort, wo man Bier trinkt. 
das Dnkel =(Substantiv von) dunkel.
das Liebespaar, -e = zwei Personen, die sich lieben.
schmusen = streicheln und küssen.
verschwnden = viel von etwas benutzen, obwohl man nicht so viel braucht.
die Verschwndung, -en = (Substantiv von) verschwenden.
respektabel = so, dass die Leute Respekt vor einem haben 
jeden zweiten Tag = immer wieder nach zwei Tagen
der Gsthof, ̈- e = das Restaurant
Gld hinauswerfen, wrf hinaus, hinausgeworfen = zu viel Geld ausgeben / Geld ausgeben für Dinge, die man nicht braucht.
(an einem Ort) z tun haben = (an einem Ort) arbeiten / etwas tun müssen
ausgeglichen = nicht traurig, aber auch nicht besonders fröhlich.
traurig = so, dass man weinen muss
aufgekratzt = so, dass man sehr viel reden muss
das Grab , ̈- er = Ort, wo ein Toter in der Erde liegt.
erfahren = die Information bekommen.
der Schuster, - = Person. Sie macht Schuhe oder repariert Schuhe.
twas von der Wlt sehen = Andere Länder besuchen /weit fort reisen.
das Dienstmädchen, - = Frau. Ihre Arbeit ist einfach, aber hart. Sie verdient nicht viel Geld.
der Arbeitslose, -n = Person. Sie hat keine Arbeit.
das ist keimgang für Dch! = Mit dieser Person sollst Du nichts zu tun haben / Diese Person ist zu schlecht für Dich.
mieten = Geld geben, damit man etwas benutzen kann.
das Pferderennen, - = Viele Pferde laufen einen Weg. Das Pferd ganz vorne gewinnt.
hinzuziehen (zog hinzu / hinzugezogen)  = (einen Experten) fragen.
(über jemanden) den Kopf schütteln = denken "diese Person sollte das nicht tun" / "diese Person handelt nicht klug".
das Kommunionkleid, -er = Kleid. Mädchen tragen des bei der "Erst-Kommunion". Das ist ein Fest in der katholischen Kirche. 
aufgeregt = so, dass man nicht ruhig sein kann, weil man sich auf etwas freut - oder weil man vor etwas Angst hat.
unwürdig = so, dass es peinlich ist / sich so benehmen, dass andere keinen Respekt haben können.
sich aufführen = sich so benehmen, dass die Leute es deutlich bemerken.
eine Hypothek aufnehmen auf (ein Haus) Von einer Bank Geld leihen und ein Haus als Sicherheit geben.
ein Geschäft eröffnen = Einen Laden neu aufmachen.
eigentlich = wenn man gut darüber nachdenkt, muss man so sagen
die Knchtschaft (nur Singular) = das Leben als Diener / leben und nur für andere arbeiten.
die Freiheit, -en = man kann tun, was man will.
das Brot des Lebens = (symbolisch:) Das Leben ist ein Brot. 
die Greisin, -nen = Frau. Sie ist sehr alt.



Die Geschichte "Die unwürdige Greisin"



Bertolt Brecht (1898-1956)
Bild: Bundesarchiv / CC/by-sa/3.0

Das ist Bertolt Brecht.

Die Geschichte über seine Großmutter heißt "Die unwürdige Greisin".

Sie können den Text im Internet finden.


Als ich jung war, lasen wir die Geschichte in der Schule.

Dann sollten wir diskutieren:

Hat die Großmutter sich wirklich unwürdig aufgeführt?


Unsere Meinungen waren damals sehr unterschiedlich!

Was meinen Sie heute?

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